Einen Monat ohne Selbstbefriedigung – NoFap February

Ein Monat ohne Selbstbefriedigung, und das im Zeitalter der Internetpornografie: Wie soll das bitte gehen? Der Blogger Airen hat bei der „NoFap“-Bewegung mitgemacht. Protokoll eines Selbstversuchs.
Während ich diese Zeilen schreibe, habe ich seit vier Wochen nicht masturbiert. Ich schaue eigentlich gerne Pornos. Wenn ich in meinem Browser den Buchstaben P eingebe, vervollständigt er automatisch “pornhub.com” und führt mich direkt in meinen virtuellen Harem. Auf der Seite sieht es so aus wie in Tarantinos legendärem Titty Twister, dem mexikanischen Bordell aus “From Dusk Till Dawn”, vor dem ein Mann mit Schnauzbart steht und die Vielfalt der Huren bewirbt: “Pussys im Sonderangebot! Wir haben weiße Pussys, schwarze Pussys, spanische Pussys, gelbe Pussys, wir haben heiße Pussys, kalte Pussys, nasse Pussys …”

10-01

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der Selbstbefriedigung normal ist. Die Zeiten, als man Heranwachsenden Märchen von Rückenmarkschwund und Haaren an den Handflächen auftischte, sind vorbei. Masturbation wird als eine Form der sexuellen Hygiene betrachtet, der Konsens ist: Es gibt Männer, die onanieren, und Männer, die lügen. Die sexuelle Revolution hat den Umgang mit Pornografie zwanglos gemacht, die digitale Revolution zur Selbstverständlichkeit. Pornokonsum ist Alltag, und Labels wie Brazzers, BangBros und Evil Angel sind den meisten Männern ebenso geläufig wie ihre bevorzugte Biermarke.

Aber was passiert mit einem Mann, der einen Monat lang enthaltsam lebt? Der keinen Sex hat, weder mit anderen noch mit sich selbst? Inmitten einer übersexualisierten Öffentlichkeit und durchpornografisierten Privatwelt gibt es sie, Asketen, die unter dem Schlagwort “NoFap” die Grenzen der Geilheit austesten und sich davon ein gesünderes Sexualleben, bessere Konzentration und mehr Kontrolle über ihr Leben versprechen.

Eine gemeinsame Challenge, in der es nicht nur um die Überwindung des inneren Schweinigels geht, sondern auch darum, dem Gehirn eine Pause von der permanenten sexuellen Reizüberflutung zu gönnen.

Wer beim “NoFap February” auf der sozialen Plattform Reddit mitmacht, verpflichtet sich, während des ganzen Monats aufs “fappen” zu verzichten (eine onomatopoetische Umschreibung des Masturbationsvorgangs), aber auch jede andere Art von Sex zu meiden. 140.000 “Fapstronauts” haben sich auf der Seite registriert. Eine gemeinsame Challenge, in der es nicht nur um die Überwindung des inneren Schweinigels geht, sondern auch darum, dem Gehirn eine Pause von der permanenten sexuellen Reizüberflutung zu gönnen.

Denn Porno ist heutzutage nicht mehr eine realitätsgetreue Darstellung von Sex, er ist eine Larger-than-Life-Utopie. Tatsächlich gibt es Männer, die in Internetforen die negativen Auswirkungen ihres Masturbationsverhaltens beklagen. Der Sex mit ihren Partnerinnen sei weniger erfüllend als ihr Pornokonsum. Junge Männer Anfang zwanzig berichten von durch Pornos induzierter erektiler Dysfunktion. Von einem Monat ohne Selbstbefriedigung und Pornografie erwarten sie sich einen “Reboot”: Das Gehirn werde von der Überstimulation entwöhnt und könne danach neu gestartet werden, für ein gesundes Sexleben mit Partnern aus dem Real Life. Das Selbstbewusstsein steige, die Motivation auch.

Ich hatte die NoFap-Bewegung schon eine Weile aus dem Augenwinkel beobachtet, konnte aber nie wirklich einen Draht dazu finden. Zu sektiererisch kamen die User rüber, die gern von Veränderungen erzählten, die immer mindestens “life-changing” waren. Diesen Leuten diente Porno als Entschuldigung für ihre Unzufriedenheit. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, einen Monat lang auf Sex und Selbstbefriedigung zu verzichten. Selbst im Februar sind das noch vier lange Wochen! Aber dieses Jahr lasse ich mich auf den Selbstversuch ein. 28 Tage NoFap. Ich mache den Test.

Tag 1

Wenn der Alkoholiker die letzten Flaschen in den Ausguss schüttet und der Raucher seine letzten Zigaretten wegschmeißt, dann lädt sich der entzugsbereite Porno-Junkie einen Adblocker runter und sperrt alle gängigen Pornoseiten. Die Blockierung aufzuheben oder einen neuen Browser zu öffnen ist zwar genauso einfach wie der Gang zum nächsten Kiosk – aber es ist ein symbolischer Schnitt. Ab jetzt ist Schluss. Neugier? Angst? Irgendwas dazwischen.

Tag 4

Es hat eine Weile gedauert, nun machen sich erste Entzugserscheinungen bemerkbar. Ich denke an meine Freundinnen Angel, Roxxy und Shyla. Ich denke verdammt oft an sie. Gemäß einer verlässlichen Statistik aus dem Internet denkt ein Mann alle sieben Sekunden an Sex. Heute kommt das hin.

Tag 7

Ein Königreich für O-Beine! Jede Treppenstufe wird zur Tortur. Es ist ein bisschen so, wie mit dem Rauchen aufzuhören: Das Verlangen kommt in kurzen, intensiven Schüben. Nur dass es mit der Zeit nicht besser, sondern immer schlimmer wird. Und die Abstände kürzer. Durchatmen. Dazwischen: Es kann schon sein, es liegt mehr Punch hinter meinen Worten und Gesten. Man könnte aber auch sagen: Die Nerven liegen blank.

Tag 10

10-03Wenn mein Wecker um acht Uhr klingelt, bin ich schon eine Stunde wach und fühle mich ausgeschlafen. Die leichteste Brise gibt mir einen Ständer. Jede Frau ist schön. Jeder Hintern ist sexy. Die Luft riecht süß, der Himmel ist rosa, und bunte Schmetterlinge drehen Pirouetten um meinen Schwanz. Pfeifend schlendere ich ins Fitnessstudio und hebe die Eisen weg wie nichts. Im Café: Wieso grinse ich die junge Blonde so an? Wieso grinst sie zurück? Ist es möglich?

Wer im deutschsprachigen Netz Informationen zu NoFap sucht, stößt ziemlich bald auf Bodybuilderforen. Eine chinesische Studie aus dem Jahr 2003 besagt, dass der Testosteronspiegel von Männern nach einer Woche ohne Ejakulation um 50 Prozent höher liegt. Box- und Fußballtrainer, die den Gattinnen den Zutritt zum Trainingslager verwehren, schwören seit Jahren auf die aufputschende Wirkung der Enthaltsamkeit. Das Testosteron schießt in die Höhe, und der Sportler wird aggressiv, weil er keine Pussy kriegt. Der angepasste Hormonspiegel soll dann wiederum das Hautbild verbessern, zu erholsamerem Schlaf führen und das Selbstbewusstsein heben. Und: Männer mit höheren Testosteronkonzentrationen wirken angeblich anziehender auf Frauen.

Allein beim Gedanken an Sex bekomme ich Atemnot.

Tag 14

Es wird ernst. Allein beim Gedanken an Sex bekomme ich Atemnot. Schon der Geruch eines Parfüms kann mich rasend machen. Ich denke stündlich daran, das Experiment abzubrechen. Minütlich. Ich meine: Noch mal genauso lang? Ich war mal zwei Wochen im Knast. Die Zeit ging damals schneller rum.

Tag 21

Samstag. In der Schlange vor der Disco. Der Türsteher tastet mich ab. Im Schritt hält er inne, schaut zu mir hoch, tastet noch mal. Nein, Mann, das ist nicht die Kokainladung, die den ganzen Club bis Montagmorgen glücklich macht. Das sind meine Eier. Auf der Tanzfläche: kein Rumgelungere, Abgetanze oder Bargesülze. Ich scanne den Raum systematisch nach paarungswilligen Weibchen und mache gezielt meinen Move. Von Schüchternheit keine Spur, schließlich bin ich das Alpha-Männchen, ein Jäger auf der Jagd nach Beute, mit einer bis zum Anschlag geladenen Kanone bewaffnet und bereit, aus allen Rohren zu feuern. Ergebnis: “Zischma ab, du Penner!” Einer Bekannten versuche ich zu erklären, dass der biologische Drang, möglichst viele Frauen zu schwängern, nicht sexistisch sei, sondern die Triebkraft der Evolution. Sie schüttelt den Kopf. Ich versuche auf ein anderes Thema zu wechseln. Mir fällt keines ein.

Tag 24

Nichts. Tote Hose. Windstille. Zwischen meinen Beinen baumelt es lustlos, als hätte jemand den Stecker gezogen. Der Gedanke an Sex langweilt mich. Fühlt man sich so als Greis? Habe ich mich kastriert? Im Internet stoße ich auf den Begriff “Flatline”: “Eine Tage oder Wochen anhaltende Phase der sexuellen Indifferenz”. Angeblich ein Zeichen dafür, dass man nicht mehr von seiner Sexualität kontrolliert wird. In der Tat, ich kann es fühlen, die Klarheit, die Nüchternheit, die Ruhe. Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, das Experiment vielleicht auszuweiten. Etwas davon in den Alltag mitzunehmen. Eben ganz allgemein weniger zu wichsen.

Tag 28

10-04Vier Wochen. Ich fühle mich leicht und erhaben wie ein Mönch. Die Euphorie und Frische dessen, der eine Sucht überwunden hat. Der Gedanke an Sex ist nicht mehr omnipräsent, ich habe mich verabschiedet von der Idee, dass ein Orgasmus zum täglichen Leben dazugehört wie essen und atmen. Meine sexuelle Energie wird umgelenkt in neue Bahnen, meine neu entdeckte Motivation umfasst nicht nur echte Frauen zum Anfassen, sondern eine spürbare Lust, produktive Dinge zu tun, Sport zu machen, zu schreiben.

Der Text ist geschrieben, der NoFap-Februar vorüber. Ein Paradigmenwechsel? Ja. Nie wieder Porno? Nein. Ich werde jetzt den Adblocker ausschalten und sie mir reinziehen, die weißen, gelben und schwarzen Pussys. Morgen aber, wenn ihr leer und erschöpft auf dem Sofa hängt, pumpe ich schon wieder im Gym. Denn eins hab ich gelernt diesen Februar: Wenn man immer nur auf Tontauben schießt, anstatt ordentliche Tiere abzuknallen, tauscht man irgendwann die Pumpgun gegen das Luftgewehr. Wenn es ernst wird, bin ich mit dem großen Kaliber gewappnet.

 

 

gefunden bei welt.de

 

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